Predigtentwurf zum Israelsonntag am 10. Sonntag nach Trinitatis am 31, Juli 2016
  RÖMER 9,1-6.14-16
            1  Ich sage was wahr ist in Christus und lüge nicht;
                 mein Gewissen bezeugt mir im heiligen Geist:
            2   eine große Traurigkeit ist es mir und ein nicht endender Schmerz in meinem Gewissen.
            3   Ich möchte selbst verflucht und von Christus geschieden sein für meine Brüder,
                 meine Verwandten nach dem Fleisch.
            4   Sie sind ja die Israeliten, ihnen gehört die Kindschaft und die Herrlichkeit
                 und der Bund und das Gesetz und der Gottesdienst und die Verheißungen;
            5   zu ihnen gehören die Väter und von ihnen kommt Christus nach dem Fleisch.
                  Der über allen waltende Gott sei in Ewigkeit gelobt. Amen.
             6   Nein- das Wort Gottes ist nicht hinfällig.
                  Aber nicht alle aus Israel sind Israel.
              7  Auch sind nicht alle, die von Abraham stammen Kinder Israels,
                  sondern nur die Kinder der Verheißung werden als Kinder anerkannt
           14   Was sagen wir dazu? - Gibt es bei Gott Unrecht?
            15  Niemals!  Zu Mose sagt er: Ich erbarme mich über den, dessen ich mich erbarme
                   und habe Mitleid mit denen, mit denen ich leide.
            16   Darum liegt es nicht an dem, der sich abmüht und läuft,
                    sondern allein an Gott, der sich erbarmt.
           Vorwort unsrer Gedanken zum Text:
            „Uns beseelt das Geheimnis der Liebe Gottes zu allen Menschen, das Geheimnis seiner göttlichen Gegenwart in der Geschichte aller Völker,
              und in besonderer Weise in der Geschichte unseres Landes...
                                                                                  (Kairos Palästina, Einleitung)
               „Jerusalem ist das Herzstück unserer Realität. Es ist ein Symbol des Friedens und Zeichen des Konflikts zugleich... Jerusalem, die Stadt der Versöhnung,
                ist zu einer Stadt der Diskriminierung und Ausgrenzung, zu einer Quelle des Streites anstatt des Friedens geworden.“  (Kairos Palästina, I,18)
   Warum haben wir diese Sätze an den Anfang unserer Meditation gestellt? -
  Im Dezember 2009 haben die Patriarchen und Oberhäupter der Kirchen Jerusalem eine Erklärung veröffentlicht, die sich an alle Kirchen und die internationale 
  Gemeinschaftwendet.-   KAIROS PALÄSTINA -  DIE STUNDE DER WAHRHEIT.
  Ein Wort des Glaubens und der Hoffnung aus der Mitte des Leidens der Palästinense  ist für uns und viele Menschen weltweit zu einem Aufruf geworden, dem 
  wir uns nichtentziehen können.
  Wir können uns im Jahr 2016 nicht mit Bibeltexten befassen, in denen Israel und Jerusalem im Mittelpunkt stehen, die uns an Gottes erwähltes Volk und an 
  Jerusalem erinnern,und die Realität unserer Tage ausblenden.
  Der Jude Mark Braverman, Direktor von „Kairos USA“, fragt:  „Haben wir vergessen, wie Jesus in Jerusalem einzog, nicht mit Waffen...?“
  In seinem Buch „A Wall in Jerusalem“ (Jericho books, 2013- deutsche Übersetzung in Arbeit)erzählt Braverman im 3.Kapitel unter der Überschrift  „Die Mauer 
  fällt“ folgende Geschichte:
  Eines Tages, nicht lange nach meiner ersten Begegnung mit der Mauer, saß ich im Büro von Sabeel, einer Organisation christlicher Palästinenser in Ost 
  Jerusalem. Das arabische Wort bedeutet  „der Weg“, aber auch „Quelle lebendigen Wassers“...Eine Mitarbeiterinon Sabeel namens Nora Carmi sprach zu uns. 
  Nora ist Jerusalemerin, ein Flüchtling im eigenen Land; ihre Familie hat im Jahr 1948 ihr Haus in West-Jerusalem verloren.
  Der Konflikt hat Nora, Mutter und Großmutter, Schmerz, Verlust und Angst gebracht. Aber diese Nöte haben ihren Glauben nur stärker gemacht. Ich fragte 
  Nora, wie sie damit umgeht, enteignet und besetzt zu sein, in einer Lage, die sich Jahr für Jahr verschlechtert. Ihre Antwort werde ich nie vergessen:  „Wir 
  folgen Jesus.“
  Zum historischen und literarischen Kontext von Römer 9
  Paulus schrieb seine Briefe an Gemeinden, die er gegründet hatte mit Ausnahme des Briefs nach Rom. Endlich möchte er auf dem Weg nach Spanien die 
  christliche Gemeinde der Hauptstadtdes Römischen Reichs besuchen. (Rm 9,22)  Den genauen Termin kennen wir nicht; es mussin der Mitte der 50er Jahre 
  des 1.Jahrhunderts gewesen sein.Was für Korinth galt, wird für Rom erst recht gegolten haben: die junge Gemeinde war sehr bunt gemischt. Da waren Juden 
  und Griechen, Freie und Sklaven, Menschen aus vielenLändern des Reichs. Der Gruß in Rm 1,7 gilt  „allen Geliebten Gottes und berufenen Heiligenzu Rom.“
  Was der Apostel in den ersten drei Sätzen von Römer 9 sagt, ist einmalig und ungeheuerlich:Er ist bereit, sein Leben, sein Heil, seine Verbundenheit mit 
  Christus, sein Gottvertrauen, alsoalles, was er ist und hat, für sein Volk hinzugeben, um sie zu retten vor der Verfluchung, aus derGottesferne und Ablehnung 
  des Christus. Für diese Ungeheuerlichkeit ruft er Christus und den heiligen Geist als Zeugen auf.
  Bei aller Leidenschaft denkt Paulus auch hier systematisch. Drei Teile lassen sich erkennen: die Verse 9,6-29   /  9,30-10,21  /  11,1-36.
  Käsemann meint, „dass die angeschnittene Problematik an dieser Stelle fällig ist, nachdem die etzten Kapitel das Verhältnis von Geist und Gesetz abgehandelt 
  haben. Es ist einfach nicht richtig, wenn man hier so etwas wie einen vom Aufbau des Briefes her nicht begründeten Exkurs findet...“
                                                                              (Käsemann, S. 247)
  Oft wurde gefragt, ob Paulus aus Rom eine Feindseligkeit gegen „die Juden“, sein eigenes Volk, vorgeworfen wurde. Dagegen sprechen viele seiner Gedanken, 
  z.B. auch  Rm 1,16:Denn ich schäme mich des Evangeliums von Christus nicht; denn es ist eine Kraft Gottes, dieelig macht alle, die daran glauben, die Juden 
  zuerst und auch die Griechen.“
  Auffällig sind die beiden „Amen“ in den Versen 9,5  und  11,36.Zu Beginn betont er die enge Verbundenheit von Gott und Christus mit Israel... aus welchen 
  Christus herkommt nach dem Fleisch, der da ist Gott über alles und allen, gelobt in Ewigkeit. Amen.
  Und am Ende steht der Lobpreis „Ihm sei Ehre in Ewigkeit. Amen“  (Rm 11,36)
  Das schreibt einer, der zunächst als Jude Christen verfolgte, dann selbst von Juden massiv verfolgt worden ist.  Dennoch lobt er Gottes Treue gegenüber Israel.
  Nur Israel hat Gott erwählt, seine Kinder zu sein.
  Nur Israel schenkte Gott seine ganze Herrlichkeit
  Nur mit Israel hat Gott immer wieder einen Bund geschlossen
  Nur Israel gab er seine Gebote
  Nur Israel feiert an jedem Sabbat den wahren Gottesdienst
  Nur Israel gab er seine Verheißungen
  Nur Israel hat diese Väter des Glaubens
  Nur aus Israel kam der Messias, der Christus Gottes.
  Wie stehen wir zu dieser Einmaligkeit?  Wie sehen wir heute Israel? Viel ist geschehen seit den Jahren, in denen Paulus für Christus unterwegs war, geredet 
  und geschrieben hat. Wir kennen unsre Schuld und unsere Verantwortung gegenüber Juden in Israel und überall inder Welt.
  In seiner Vorlesung zum Römerbrief 1515/16 sagte Luther: „Keiner stürze sich in diese Grübeleien hinein, dessen Geist noch nicht gereinigt ist, daß er nicht in 
  den Abgrund des Grausens und der Verzweiflung falle... Denn auch ich würde darüber nicht lesen,, wenn mich nicht die Ordnung der Vorlesung und die Pflicht 
  dazu nötigte. Das ist stärkster Wein und vollkommene Speise, das feste Brot der Vollkommenen, d.h. Theologie im eigentlichsten Sinne des Wortes.                        
                                                                                        (Luther, S.161 zu Rm 9,16)
  Und Karl Barth stellt fest: „Unser Sein in Christus beseitigt diese unsere Gemeinschaft mit Israel nicht, sondern es schafft sie erst im wahren Sinne.“  (Barth, S. 
  269)„Man muss sie von innen sehen, man muss Israel lieb haben, um sie zu verstehen und davon reden zu können.“  (Barth, S. 270)
  Dann fragt Barth: „Wer ist Israel? Der Gotteskämpfer (Gen 32,29) ? Wo der Gotteskämpfer ist, da ist das wahre Israel – nur da.“  (Barth, S. 272)
  Groß ist unser Beitrag zur Gründung des Staates Israel im Jahr 1948.  Was den Einen endlich Rückkehr ins Land der „Väter“, ist für Andere zur Katastrophe 
  geworden. Sie nennen das Nakba.In Lev 25,23 heißt es: „das Land gehört mir und ihr seid alle Fremde und Bewohner bei mir.“
  Micha Brumlik zitiert in der Predigthilfe zum Israelsonntag 2016 der Aktion Sühnezeichen-Fiedensdienste Franz Rosenzweig:  „Das Land ist ihm (Israel) im 
  tiefsten Sinn eigen eben nurals Land seiner Sehnsucht, als – heiliges Land. Und darum wird ihm sogar, wenn es daheim ist, wiederum anders als allen Völkern 
  der Erde, dies volle Eigentum seiner Heimat bestritten: Er selbst ist nur ein Fremdling und Beisaß in seinem Lande: „mein ist das Land“ sagt ihm Gott...“
  Darum sagt Brumlik:  „Du sollst Gott nicht zur politischen Partei im Israel-Palästina-Konflikt machen.“    (Predigthilfe 2016 
  Aktion´Sühnezeichen/Friedensdienste, S. 14)
  Woran sollte eine Predigt am Israelsonntag 2016 erinnern? Wozu könnte sie ermutigen?
  Wer versucht, Jesus zu folgen, wird sich an die alle umfassende, unermüdliche Liebe und dasErbarmen halten, die dieser Mensch aus dem Volk Israel gelebt 
  hat.
  Das heißt: Erfahrenes Erbarmen will und muss weitergegeben werden, besonders an die,die im Elend leben. Wir sind verpflichtet, das Lob Gottes nicht nur zu 
  singen, sondern in menschliches Handeln zu legen.  „Seid barmherzig wie euer Vater barmherzig ist“  (Lk 6, 36)
   Diese Barmherzigkeit kennt keine Grenzen und keine Mauern. Überall gilt: „Was ihr getan habt einem dieser meiner geringsten Brüder, das habt ihr mir getan.“  
  (Mt 25, 40)Und für Geflohene wie an ihren eigenen Orten Leidende gilt: „Brich dem Hungrigen dein Brot und die im Elend sind, führe in dein Haus...“ Jes. 58, 7)
  Weil Gottes Barmherzigkeit und sein Recht so leicht missachtet und uns dann auch fast genommen werden, bedarf es des göttlichen Geschenks der Hoffnung -
  gegen jeden Widerspruch.
  Wir möchten darum mit einem Text schließen, der diese Hoffnung lobt:
              Auf Frieden hoffen, auch wenn es lange, sehr lange, fast ein Leben dauert,
              bis der Schmerz, die Wunden, die Hoffnungslosigkeit, die Wut, die Angst sich legt
              in mir.
              Auf Frieden hoffen, auch wenn alle Zeichen um uns herum eher Krieg verheißen
              und mein Inneres den Frieden gar nicht zu spüren wagt.
              Auf Frieden hoffen, auch wenn die Fluchtgedanken mich zu überwältigen drohen.
              Auf Frieden hoffen und sich bewusst sein, dass er nicht zu erzwingen ist.
              Auf Frieden hoffen  in Zeiten des Unfriedens und dabei friedenswillig und bemüht
              bleiben;  ein harter Prüfstein für unsere menschliche Seele, die des Leidens
              müde geworden ist.
                                                                (Viola Raheb, Palästinensische Theologin und Pädagogin
                                                                  in „Recht ströme wie Wasser“ - Gedanken für jeden Tag
                                                                 AphorismA Verlag – zum 12.Oktober
        Ausgewählte Literatur:
         Karl Barth, Der Römerbrief  Nachdruck der 1.Auflage von 1919, EVZ Verlag Zürich 1963
         Ernst Käsemann, An die Römer   3.Auflage   J.C.B. Mohr  Tübingen 1974
         Martin Luther, Vorlesung über den Römerbrief -  Hermann Böhl aus Nachfolger,  Weimar 1960
         Kairos Palästina- Die Stunde der Wahrheit     AphorismA Verlag Berlin 2009
         Predigthilfe & Materialien    Israelsonntag 2016   Aktion Sühnezeichen/ Friedensdienste
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          Psalm   146
          Lesungen      Jes 58, 6-8     und Markus 12, 28-32
           Lieder:   All Morgen ist ganz frisch und neu...   EG  440
                          Du meine Seele singe...                               302, 1-4 und 8
                          Aus tiefer Not...                                            299, 1-5
                          Es wird sein...                                               426
                          Gib Frieden, Herr...                                       430
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     Erarbeitet für die Freunde von Sabeel Deutschland:  Pfarrer i.R. Gerhard Vöhringer und Johannes  Wagner             
 
 
  Predigtentwurf