Zur Wassersituation
"Seit zwanzig Jahren geht es rückwärts".
Der deutsche Wasserexperte Clemens Messerschmid findet im Interview mit dem Bayrischen
Fernsehen deutliche Worte, wenn es um Wasser und Wasserverteilung geht.
BR: Der Deutsche Hydrologe arbeitet seit zwanzig Jahren an verschiedenen Wasserprojekten in Palästina. Wasserknappheit spielt
dabei kaum eine Rolle, sondern die Verteilung des Wassers. Wie sieht es in diesem Sommer mit der Verteilungsgerechtigkeit in
Palästina aus?
CM: Es ist wieder Sommer und es ist wie in jedem Sommer wieder schlimm. Speziel in diesem Jahr wurde das Wasser extrem gekürzt.
Israel hat die Hähne zugedreht. Die Palästinenser kaufen sehr viel Wasser aus Israel – immer mehr und das liegt daran, dass wir keine
andere Möglichkeit haben eine andere Versorgung bereit zu stellen. Zum Beispiel Ramallah kauft das Wasser 100 % aus Israel.
Palästina ist vollkommen abhängig von Zukäufen aus Israel und wenn Israel das Wasser sperrt, dann gibt es kein Wasser. Deswegen
gibt es wieder eine sogenannte Krise, die eigentlich gar keine Krise ist, sondern eine Erscheinung jeden Sommer. Die Siedler haben
einen höheren Bedarf, also wird für die Siedler mehr Wasser zur Verfügung gestellt, und das heißt ganz einfach ganz praktisch
weniger Wasser für die Palästinenser
BR: Aber es wäre genügend Wasser da, rein theoretisch?
CM: Die Westbank hat enorm viel Wasser, die Westbank hat sehr viel Regen – es ist der Regen vom Mittelmeer, im Winter fällt hier
eine riesige Menge. Ramallah hat sogar mehr Regen als London. Die Westbank wäre wasserreich. Es gibt enorm viel Grundwasser.
Das Problem ist die Besatzung. Es gibt keine Genehmigungen um Brunnen zu bohren. Das wäre die einfache technische Lösung, die
selbstverständliche, die einfache Lösung auf die Wasserkrise. Die künstlich erzeugte Krise durch die Besatzung, durch die
Militärbesatzung, durch ein Militärrecht, welches den Palästinensern den Zugang zu ihren eigenen Ressourcen, hier direkt unter den
Füßen, verwehrt.
BR: Was wäre denn der Lösungsansatz, wie kann man das Problem, das 20 Jahre währt, lösen?
CM: Seit 20 Jahren gehen wir eigentlich rückwärts. Das, was in Oslo versprochen wurde, wurde nicht nur nicht eingehalten, sondern
wir haben inzwischen in absoluten Mengen weniger als vor Oslo. Der Friedensprozess war ein reines Desaster und man fragt sich, wo
denn die ganzen Hilfsgelder hingegangen sind, wenn wir jetzt weniger Wasser haben als vor Oslo. Es ist ganz klar. Es liegt an einem
einzigen Faktor – es ist schon anspruchsvoll Tiefbrunnen zu bohren – aber das ist nicht das Problem. Es ist an einem Faktor und das
ist die Politik. Es bräuchte eigentlich Druck auf Israel um eine minimale Menge mehr Wasser für die Palästinenser bereitzustellen, um
zu erlauben Ihr eigenes Wasser zu nutzen. Und das ist wirklich eine politische Frage – Druck und Gegendruck.
BR: Aber die Siedler, beispielsweise in Shilo oder anderen Siedlungen, die haben genügend Wasser, das ist Fakt?
CM: Die Siedler haben enorm viel Wasser, auch die „normalen“ Israelis haben viel Wasser. Die Siedler haben etwa genauso viel, aber
die Siedlungen, die Landwirtschaft betreiben, da wird es astronomisch hoch, wie viel pro Kopf verbraucht wird. Wenn man beginnt zu
bewässern, dann werden die Zahlen riesig. Anscheinend ist es dieses Jahr so, dass jetzt neue Siedler Landwirtschaftgebiete in illegalen
Siedlungen, auf gestohlenem Land, auch von Outpost, nicht einmal von Siedlungen, aus dem Boden sprießen und darum der
Siedlerbedarf enorm gestiegen ist. Und das trägt dann dazu bei, dass bei den Palästinensern noch mehr gespart wird. Das dann in
den Nachbarstädten neben den Siedlungen auf weniger als 50 % herunter geht, von dem was eigentlich vertraglich vereinbart ist. Das
sind Vereinbarungen zwischen den Israelis und den Palästinensern. Israel hält sich nicht daran und macht einfach zu.
BR: Aber mit den Siedlungen, wenn Brunnen man bohren würde, wäre genug Wasser da?
CM: Inzwischen ist Israel eine Wasser-Surplusökonomie, hat einen Wasserüberschuss, dadurch dass sie noch so viel Meerwasser
entsalzen. Dadurch hat Israel eigentlich mehr Wasser, als es eigentlich nutzen kann. Es gibt technisch überhaupt keinen Grund, dass
es den Palästinensern verboten wird das Wasser zu nutzen. Es geht darum, dass Israel sagt: nein, nein, die gesamten Ressourcen, das
gesamte Wasser in der Westbank gehört uns. Ihr habt einfach kein Recht darauf. Es ist zwar fremdes Land, aber ihr dürft da in eurem
eigenen Land nichts machen. Es gibt reichlich Wasser, der israelische Verbrauch pro Kopf ist mehr als doppelt so hoch wie in
Deutschland – 126 Liter etwa pro Kopf und Tag in Deutschland – Israel hat 285 Liter Trinkwasserverbrauch und dann noch eine
riesige Menge an Bewässerung. Die Palästinenser kommen gerade auf Zweidrittel des Minimums dessen, was die
Weltgesundheitsorganisation als Mindestgrenze für ein würdiges Leben für die Trinkwassernutzung beschreibt, nämlich 100 Liter am
Tag wären das, aber Palästinenser haben mal knapp 70 Liter. Und diese Städte, die unter dem Wasser leiden, die haben dann Wochen
lang gar nichts, keinen Tropfen, müssen irgendwie schauen wo sie irgendwo einige Tropfen herkriegen. Haben Tage lang kein Wasser
zu Hause, können auch kein Klo spülen. Das ist verheerend in den Städten
BR: Letztendlich ist es ein großes Geschäft. Die Palästinenser dürfen nicht bohren, kaufen das Wasser von Israel und die regulieren es
wie sie wollen?
CM: Also, Geschäft ist es noch nicht mal. Aber darum geht es auch. Es geht auch immer wieder um den Streit des Wasserpreises. Aber
das ist noch einmal ein anderes Thema. Es ist also nicht so, dass sich Israel enorm bereichert, an den winzigen Mengen die sie an die
Palästinenser verkaufen. Es sind ja nicht einmal 60 Mio
3
die die Palästinenser kaufen. Es sind aber 2000 Mio
3
die Israel verbraucht. Es
ist also nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Es ist für die Gesamtökonomie Israels völlig irrelevant. Nein, es geht um die
Ressourcenkontrolle. Israel will die völlige Kontrolle über das Wasser in der Westbank nicht aufgeben. Israel hat noch im Sommer
1967 als die Besatzung anfing, nach zwei Monaten im August sofort gesagt, alles Wasser in der Westbank untersteht ab sofort dem
regionalen Militärkommandeur. Und dann im Herbst noch nachgelegt und gesagt, wir führen jetzt ein Erlaubnisscheinsystem ein.
Palästinenser brauchen eine Erlaubnis für jede Art von Arbeit im Wassersektor. Ob wir einen Brunnen bohren, oder ob wir eine
Leitung legen, oder eine Pumpstation bauen, oder einen Wasserturm hinstellen wollen, immer brauchen wir eine Erlaubnis und das
Militär sagt einfach nein. Und das sind ja sogar Siedler. Die sind hier in Bethselem im Settlement, da sitzt die Ziviladministration, die
Militärverwaltung der Westbank, die sagt einfach nein. Wir brauchen sogar für Zisternen, um auf dem Dach den Regen aufzufangen
eine Genehmigung. Und wenn wir die nicht haben, ist das für Israel illegal. Auch das Wasser, der Regen der auf mein Haus fällt, gehört
Israel. Aber auch wenn wir einen Brunnen reparieren wollen, brauchen wir permits, brauchen wir Erlaubnisse und kriegen sie nicht.
Deswegen sind immer mehr alte palästinensische Brunnen kaputt und stehen still. Die richtige Menge an Wasser, die sie aus ihren
eigenen Brunnen schöpfen nimmt ab und nicht zu.
BR: Sie sind ja nun als Wasserexperte seit 20 Jahren hier. Ist das nicht frustrierend, dass man sich im Prinzip immer um die gleichen
Probleme herumschlägt und dass man im Prinzip um eine Lösung genauso weit entfernt ist wie vor zehn Jahren auch?
CM: Ja, beziehungsweise noch weiter, wir entfernen uns von der Lösung, wir machen Schritte rückwärts, haben weniger Wasser als
vorher, die Leistung, die Bilanz ist desaströs von unseren ganzen Wasserprojekten auch den Deutschen und den anderen Ländern.
Das macht einen richtig wütend.